Wilhelm Hinterleithner

Wilhelm Hinterleithner wurde 1962 in Schärding/Inn geboren. Nach der Matura 1981 in Gmunden studierte er bis 1986 an der Akademie der bildenden Künste in Wien Grafik und Malerei (Meisterschule Melcher). Weitere Studien absolvierte er in Musikwissenschaft, Germanistik und Psychologie. Von 1986–1991 war er als Bühnenbildmaler für das Wiener Burgtheater, die Wiener Staatsoper, die Bayreuther Festspiele und andere namhafte Opernhäuser tätig, ab 1991 auch als Grafiker für den ORF Wien. Seit 1996 lebt der Künstler in Eisenstadt. Seine Werke sind in Museen sowie öffentlichen und privaten Sammlungen vertreten.

Ohne Titel
Mixed Media (Tusche, Aquarell, Pigment, Scherenschnitt) auf Papier
135 x 100 cm (je nach Hängeabstand)
2022

Ausgangspunkt war der Daphnemythos (Ovid: Metamorphosen):

Als Apollon den Liebesgott Eros als schlechten Schützen verspottete, rächte sich dieser, indem er einen Liebespfeil mit einer goldenen Spitze auf ihn und einen mit bleierner Spitze auf Daphne abschoss. Apollon verliebte sich unsterblich in Daphne, während diese, von einem genau das Gegenteil bewirkenden Pfeil Eros’ getroffen, für jene Liebschaft unempfänglich wurde. Als Apollon Daphne vergewaltigen wollte, floh sie. Erschöpft von der Verfolgung durch Apollon flehte sie zu ihrem Vater Peneios, dass er ihre – den Apollon reizende – Gestalt wandeln möge. Daraufhin erstarrten ihre Glieder und sie verwandelte sich in einen Baum

Hier wird die Geschichte weitererzählt: Eine Frau mit Axt als zentrales Motiv, umgeben von neun Frauen, deren Gesäße sich in einen Baum verwandelt haben. Die Stämme sind abgehackt, es sind nur die Stumpen vorhanden. Der Prozess der Metamorphose ist offen und kann zeitlich in zwei Richtungen gelesen werden: wird die Verwandlung durch das Abhacken der Äste gestoppt oder die Rückverwandlung eingeleitet? Das Bild besteht aus 9 Einzelteilen, durch welche die zentrale Hauptfigur und die Landschaft fragmentiert werden. Jedes Einzelteil ist zugleich abgeschlossener Bildraum der im Metamorphose-Stadium befindlichen kleineren weiblichen Figuren. Die Darstellung der Frauenkörper ist auch als Kritik an der normierten Zwangsästhetik (jung, schlank, rasiert) zu sehen.

Jurybegründung:
Wilhelm Hinterleithners großformatiges Mixed-Media-Bild besticht einerseits durch seine Technik, andererseits durch die inhaltliche Ebene der Interpretation dieses antiken Mythos: eine Frau entscheidet sich für eine Verwandlung, um nicht Objekt von (männlicher) Lust sein zu müssen.

Bei den dargestellten Frauen in der Arbeit des 1962 geborenen Künstlers handelt es sich um starke, selbstbewusste Frauen. Die zentrale Figur in dem Bild, die einen Baumstamm hackt, wirkt ziemlich kämpferisch. Als besonders spannend werden die neun verschiedenen Frauendarstellung gesehen, die nicht den aus heutiger Sicht perfekten Körper zeigen, sondern unterschiedliche Altersgruppen repräsentieren und sich ins Naturale zurück- oder weiterverwandeln. Baumstämme in den Einzelbildern wachsen aus den Gesäßen heraus, nie aus der Frontseite, z.B. aus den Brüsten, sozusagen entsexualisiert. Die Beziehungen zwischen Natur und Weiblichkeit spielen eine große Rolle.

Hinterleithners Arbeit spiegelt eine Thematik wider, die von zeitloser Präsenz und leider im Moment aktueller denn je ist: der Krieg in der Ukraine und die Darstellung der Frau in der heutigen (überwiegend noch immer patriarchalen) Gesellschaft, damit verbunden die Gewalt an Frauen (insbesondere in Kriegszeiten) sowie die steigende Anzahl der Femizide.

Frauen leiden oft unter dem Diktat der Äußerlichkeit: In unserer Gesellschaft müssen sich starke, selbstbewusste Frauen sehr oft und noch immer verwandeln (Kleidung, Verhalten etc.), um Karriere machen zu können. Eine förderwürdige Arbeit, die in ihrer formalen und inhaltlichen Umsetzung sehr viele Interpretationsmöglichkeiten zulässt und zum Weiterdenken anregt.