Die Verfolgung der burgenländischen Roma

Im August 1938 verfasste Landeshauptmann Tobias Portschy eine Denkschrift mit dem Titel „Die Zigeunerfrage". Sie wurde die ideologische Grundlage für alle folgenden gegen burgenländische Roma gerichteten Verfolgungsmaßnahmen.

Portschy beschrieb darin die Zigeuner als „nomadische Schmarotzerrasse“, welche die ansässige Bevölkerung durch zahlreiche ansteckende Krankheiten in Gefahr bringe und die ausschließlich vom Betteln und Stehlen lebe. Durch die Vermischung mit deutschem Blut sah er die gesamte arische Rasse gefährdet. Zigeuner wären „Fremdkörper und gefährden das deutsche Blut“. Die „nationalsozialistische Lösung der Zigeunerfrage“ sah laut Portschy in der Einführung einer generellen Arbeitspflicht (Zwangsarbeit) und der Internierung in Arbeitslagern. Als langfristige Strategie schlug er die Sterilisation vor, die er im „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ bereits legitimiert sah. In der „freiwilligen“ Abwanderung ins Ausland bzw. der Aussiedlung in die „Deutschen Kolonien“ erkannt Portschy die „vollkommenste Lösung“ der Zigeunerfrage.

Erste Verfolgungsmaßnahmen begannen unmittelbar nach dem „Anschluss“. Per Dekret wurde den burgenländischen Zigeunern die Beteiligung an der Volksabstimmung vom 10. April 1938 verboten. Die nationalsozialistische Landesregierung war der Meinung,

„dass die Zigeuner keineswegs als vollberechtigte Reichsbürger zu gelten hätten, sondern bestenfalls als Staatsangehörige, die mit den Rechten und Pflichten, die ihrem Charakter und Wesen angemessen sind, zu betrachten sein.“3

In der folgenden ersten Verhaftungswelle wurden Hunderte burgenländische „Zigeuner“ als „Asoziale“ verhaftet und in Konzentrationslager verschleppt. Als „asozial“ galt, wer „durch wirtschaftswidriges, wenn auch nicht verbrecherisches Verhalten zeigt, dass er sich nicht in die Gemeinschaft einfügen will“. In polizeiliche Vorbeugehaft konnte aber auch jeder genommen werden, der „ohne Berufs- und Gewohnheitsverbrecher zu sein, durch sein soziales Verhalten die Allgemeinheit gefährdet".4

Diese Bestimmungen stellten in den ersten Jahren die rechtstaatliche Basis für Internierung dar und waren nach Kriegsende dafür verantwortlich, dass die österreichischen Zigeuner lange nicht als Oper der NS-Verfolgung anerkannt wurden. Die ersten beiden großen Verhaftungswellen von burgenländischen Roma fanden im Mai und Juni 1938 statt. Die Aktion wurde von der Kriminalpolizeistelle Eisenstadt koordiniert und fand zeitgleich im gesamten Land statt. 232 Burgenlandroma wurden in „polizeiliche Vorbeugehaft“ genommen, um präventiv sicherheitspolizeiliche Delikte wie „Betteln und Landstreicherei“ zu verhindern.5 Bei der Auswahl der zu Verhaftenden wurde auf die „Zigeunerkartothek“ aus dem Jahr 1928 zurückgegriffen.

Gegen diese Verfolgungsmaßnahmen verfasste eine Gruppe von sechs Roma aus Redlschlag einen mutigen Beschwerdebrief an die Reichsregierung. Darin wurde von der wirtschaftlichen Not der dortigen Zigeuner berichtet, die nunmehr ohne Arbeit und ohne staatliche Unterstützung auf Betteln angewiesen wären. Außerdem kam es nach der Aberkennung jeglicher Bürgerrechte wiederholt zu Übergriffen der hiesigen Gendarmerie. Das nationalsozialistische Regime antwortete auf seine Art. Aus einem Bericht der Kriminalpolizeistelle Eisenstadt geht hervor, dass der Verfasser des Schreibens am 20.6.1938 verhaftet und ins KZ Dachau verschickt wurde. Gleichzeitig wurden die übrigen fünf Unterzeichner des Schreibens zur Fahndung ausgeschrieben.6

Ab August 1938 durften arbeitsfähige Roma zur Zwangsarbeit bei öffentlichen Bauten, auf Straßen und in Steinbrüchen herangezogen werden. Im September wurde burgenländischen Roma-Kinder per Weisung des Landeshauptmannes der Besuch von Schulen verboten.7 Es folgte die Aberkennung des Wahlrechts und das Verbot von „Mischehen“. Begleitend dazu wurden zahlreiche diskriminierende Anordnungen erlassen, die sich auf die unmittelbaren Lebenssituation der burgenländischen Zigeuner auswirkten, wie das Verbot des öffentlichen Musizierens, Verbote betreffend des Erwerbs bestimmter Lebens- und Genussmittel oder das Verbot der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel.

Die im Burgenland verordneten Maßnahmen griffen dem Verfolgungsprogramm der Nationalsozialisten vor, so dass man festhalten kann, dass im Burgenland bezüglich der „Endlösung der Zigeunerfrage“ erhebliche Vorarbeiten „geleistet“ wurden, was maßgeblich auf die Person Portschys zurückzuführen war.

Im November 1940 wurde auf einem stillgelegten Gutshof der Familie Esterházy ein Zigeunerlager eingerichtet. Das „Anhaltelager“ Lackenbach war das erste KZ-ähnliche Lager auf dem Boden des Burgenlandes. Den höchsten Lagerstand mit 2335 Häftlingen gab es am 1. November 1941, kurz vor den Deportationen ins Ghetto Litzmannstadt. Insgesamt wurden 3000–4000 Zigeuner im Lager Lackenbach inhaftiert.8 Das Lager Lackenbach diente als Sammel- bzw. „Konzentrationslager“ insbesondere für die Roma des südlichen Burgenlandes – es war Arbeitslager und auch Sammelpunkt für Transporte in die Vernichtung. KZ-ähnliche Lebensumstände mit schlechtesten sanitären Verhältnissen führten zu hohen Todeszahlen. Nach den Aufzeichnungen des Standesamtes von Lackenbach verstarben zwischen Dezember 1940 und der Auflösung des Lagers im März 1945 237 Personen.9

In den Jahren der Verfolgung wurden Roma aus dem Burgenland in die Konzentrationslager Dachau, Buchenwald, Ravensbrück oder Mauthausen deportiert. Unter den 5007 Toten des Ghettos von Lodz waren besonders viele Burgenländer. Ab April 1943 folgte die Deportation ins Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau.

Von den ca. 12.000 österreichischen Roma und Sinti überlebten nur ca. 1500 den Nazi-Terror. Im Burgenland verhält es sich ähnlich. Ausgehend von einem Bevölkerungsanteil von ca. 8000 „Burgenlandroma“ erlebten nach einer Befragung aus dem Jahr 1948 ca. 900 Personen, knapp 11 %, das Terrorsystem der Nazis.10

Legende

1In der folgenden Beschreibung wird ungeachtet der Tatsache, dass im Burgenland neben den Burgenlandroma auch kleinere Gruppen von Sinti gelebt haben generell der Terminus „Rom(a)“ als Sammelbegriff für alle „Zigeunergruppen“ verwendet.
2Tobias Portschy, Die Zigeunerfrage. Denkschrift des Landeshauptmannes für das Burgenland Pg. Dr. Portschy, Eisenstadt August 1938, Burgenländische Landesbibliothek, 3827-B
3Tobias Portschy, Die Zigeunerfrage. Denkschrift des Landeshauptmannes für das Burgenland Pg. Dr. Portschy, Eisenstadt August 1938, S 4
verg. dazu: Erlass des Burgenländischen Landeshauptmannes Dr. Tobias Portschy vom 17.3.1938 betreffend Stimmrecht der Zigeuner bei der Volksabstimmung
4Joska Benkö, Zigeuner, Ihre Welt – ihr Schicksal. Unter besonderer Berücksichtigung des burgenländischen und ungarischen Raumes, Pinkafeld 1979 S 124
5Portschy, S 4
6Burgenländisches Landesarchiv, “Zigeunerakt”, Karton Polizei I-A, 25/180
7Grenzlandzeitung vom 14.8.1938, Verordnung des Landeshauptmannes vom 31. Juli 1938 bzw. vom 4.9.1938
8Selma Steinmetz gibt eine Zahl von 3050 als höchste Häftlingszahl an (Widerstand und Verfolgung im Burgenland S 247), Erika Thurner gibt eine Zahl von 4000 an; Erika Thurner, Kurzgeschichte des nationalsozialistischen Zigeunerlagers in Lackenbach (1940-1945), Eisenstadt 1984 S 22
9Die Ereignisse im Lager Lackenbach beschäftigten auch die Volksgerichte. Der besonders brutale Lagerleiter Franz Langmüller kam dabei mit einer beschämend niedrigen Strafe von einem Jahr schwerem Kerker davon
Siehe dazu: LG Wien Vg 1c Vr 4594/47
10Eine Auswertung der Opferfürsorgeakten des Burgenlandes und teilweise auch für Wien ergab eine Zahl von 914 Antragstellern und deckt sich somit in etwa mit dem 1948 erhobenen Wert des Landesgendarmerie-kommandos für das Burgenland